Dierk
Ich habe bei es bleibt schwierig einen Blogbeitrag geschrieben, in dem ich die bisherige untätige Bequemlichkeit der Menschen bezüglich PRISM et al. anprangere. Daraus ergab sich eine Diskussion mit Erbloggtes.
Erbloggtes
Du beklagst ja, über PRISM rege sich niemand groß auf, dagegen seien Konzerne wie Amazon, Facebook oder Google, die Daten sammeln, um den Nutzern persönlich zugeschnittene Werbung zeigen zu können, oft dem Zorn der Öffentlichkeit preisgegeben. Da habe ich mich gefragt, ob Du es heuchlerisch findest, solche Privatunternehmen anzufeinden, während offenbar viele Menschen flächendeckende Geheimdienstüberwachung und Geheimgerichte für nicht weiter aufregenswert halten. Ist das Deiner Ansicht nach eine oft anzutreffende heuchlerische Haltung?
Dierk
Es ist offensichtlich, dass die Haltung bigott ist. Privatunternehmen wie Amazon wollen uns nicht schaden. Sie brauchen uns als Kunden, wir sollen unser Geld fröhlich zu ihnen bringen. Dazu muss es uns gut gehen. Selbstverständlich gibt es auch Unternehmen deren Interesse ausschließlich darin besteht, uns möglichst schnell möglichst umfassend auszunehmen. Die Raubritter, Auflauerer, Einstiegdiebe und Heiratsschwindler des Internets sozusagen. Die bewegen sich außerhalb des rechtlich zulässigen Rahmens.
Regierungen schaffen sich die Gesetze, mit denen sie ihre Interessen gegen ihre Bürger durchsetzen können. Wie wir am Patriot Act sehen, an FISA, oder bei uns an der VDS. Dazu kommen – oft geheim gehaltene – Verträge zwischen Regierungen sowie zwischen Regierungen und privaten Sicherheitsunternehmen, die das Machtmonopol des Staates aushebeln. Regierungen haben Gefängnisse, Folterkerker, Gewehre, Panzer … ich darf hier an 1953 Berlin erinnern, 1968 Prag, 1989 Beijing. Noch kann Amazon bei uns nicht einfach so ein schwer bewaffnetes Einsatzkommando vorbeischicken, auch wenn ausgerechnet die USA und das UK dahin unterwegs zu sein scheinen.
Ich habe den Eindruck, die Angriffe auf Amazon, Facebook, Microsoft und Google basieren auf einer unterschwelligen Ader Anti-US-Amerikanismus. Ob der häufig ist, weiß ich nicht, ich vermute, die meisten Menschen interessieren sich nicht für die Fehler und Missverhältnisse der Firmen; die Anfeinder sind in Behörden [Thilo Weichert z.B.] und Medien zu finden. Die Haltung, die Abschaffung unserer Grund- und Menschenrechte hinzunhemen, ist allerdings sehr verbreitet.
Erbloggtes
Ja, stimmt, mir fällt da die Verbraucherschutzministerin Aigner ein, die sich bei Facebook abgemeldet hat, aber nicht bei der NSA. Es gibt da auch antiamerikanisch angehauchte Rhetorik, aber das sind vor allem solche Floskeleien, dass man ein deutsches Google oder Facebook oder ähnliches brauche. Das ist eigentlich Blödsinn, zumal US-Amerikaner ja auch auf ihre Konzerne schimpfen – aber was damit gesagt werden soll, ist in der Regel: die privaten Internetkonzerne sollten vom Staat hart an die Kandare genommen werden – und dazu brauche man eben eigene, nationalstaatlich begrenzte Internetdienste.
Die Heuchelei erscheint mir bei allen diesen Beispielen als eine berufsbedingte Deformation: Auf irgendwen muss man schimpfen, aber nicht auf den lieben Staat. Bei echten Menschen ist das eine seltenere Einstellung, nehme ich an – sogar im staatsaffinen Deutschland. Aber staatsorientierte Eliten wie Behörden, Medien und Politiker, für die klingt das typisch, und die machen nun mal den Großteil der öffentlichen Sprechrollen unter sich aus.
Wo ich Dir aber widersprechen würde, das ist das Feld der Public Private Partnership, das Du ja ansprichst, aber nur hinsichtlich der Sicherheitsunternehmen. Google und Amazon sind in diesem Sinne jedoch auch Sicherheitsunternehmen, die im Verbund mit Geheimdiensten die Demokratie aushebeln, nicht bloß das Machtmonopol. Natürlich wollen die Firmen zufriedene Kunden, aber zu ihren Betriebsbedingungen zählt, dass sie auf geheime Anweisungen hin alles tun, was die Men in Black von ihnen verlangen, und dass sie nicht darüber reden, und dass staatliche Stellen dann sagen, sie dürften auch nicht darüber reden, weil das ja Geschäftsgeheimnisse der Konzerne seien.
Dass Privatunternehmen nur Geld verdienen wollen, heißt ja nicht, dass sie dadurch auf Seiten ihrer Kunden stehen und für deren Interessen einträten. Der Ansatzpunkt, um Privatunternehmen davon abzuhalten, zum Schaden der Menschen tätig zu werden, ist es aber, da hast Du natürlich recht, den Staat wieder unter die Kontrolle der Menschen zu bringen.
Dierk
Du stellst es so dar, als hätten die Amazons und Facebooks dieser Welt eine großartige – rechtmäßige! – Wahl. Für die UdSSR, überhaupt den gesamten Ostblock oder das heutige China haben wir das nie angenommen. Die Verbindung der westlichen Geheimdienste zu Huaweiwird nur beklagt, weil die Regierung in Beijing direkt Zugriff auf die Firma hat. In Demokratien haben wir damit seltsamerweise keine Probleme, da ja alles nach Recht und Gesetz … oh.
Was soll Google machen, wenn das FBI oder Homeland Security mit einem richterlichen Beschluss ankommen und sagen ‘Her mit den Kundendaten, und baut uns gleich eine Schnittstelle für den Direktabgriff ein’? Sollen Sie sich dagegen stellen und riskieren wegen obstruction of justice dicht machen zu müssen? Auch ohne Diktatur ist die Macht der Regierung verdammt groß – und das ist es, was ich beklage.
Es macht einen gewaltigen Unterschied, ob ein Vorgehen rechtlich abgesichert ist oder nicht. Werden Geheimdienste aufhören uns zu belauschen, wenn ihnen die rechtliche Grundlage genommen wird, sie aber nicht zerschlagen werden? Vermutlich nicht, siehe Nixons CIA-Missbrauch oder den Irrsinn J. Edgar Hoovers. Werden sie aber erwischt, gibt es eine Handhabe, die Verantwortlichen rauszuwerfen und wegzusperren.
Je nach Regierungsidee wird es dabei auch zu mittelfristiger Abschreckung von Nachahmern kommen. Nixon, Reagan, Bush 1+2, Obama wollen starke Geheimdienste, Carter nicht. Bleibt es langfristig bei Regierungschefs wie Obama, Merkel, Berlusconi oder Blair, wird es früher oder später Gewalt geben – der Bürger gegen die neofeudale Klasse.
Ich gehöre zu jenen, die glauben, dass es immer Carters und Brandts geben wird. So einer ist allerdings sehr bald nötig.
Erbloggtes
Ich gebe ja gerne zu, dass der Weg zur Kontrolle der Privatunternehmen über die Kontrolle des Staates führt. Das bedeutet, die Parlamente müssen “die richtigen Gesetze” beschließen. Sie müssen die Regierung kontrollieren, die der Regierung untergebenen Behörden kontrollieren, und die Privatwirtschaft (und deren Kooperation mit dem Staat) kontrollieren, damit diese Machtgruppen sich nicht über die Demokratie stellen können.
Du behauptest nun, dass die Macht der Regierung verdammt groß sei, und Du wünschst Dir einen guten Herrscher statt der schlechten, die wir haben: der würde es schon regeln. Doch dabei kommt ein wichtiger Aspekt unter die Räder: Auf welcher Seite der Konstellation “Bürger gegen die neofeudale Klasse” stehen denn die großen, erfolg- und einflussreichen, datensammelnden Internetunternehmen? (Und wo stehen die vielen anderen Firmen, in denen Privatwirtschaft und Staatsinteressen verschmelzen?) Die wollen doch nur Geld verdienen, könnte man sagen. Aber zu den Bedingungen dafür gehört es, dass sie auf der Seite der neofeudalen Klasse stehen.
Klar, Carter und Brandt würden das schon regeln. Wenn man aber fragt, warum wir seit über 30 Jahren keinen Carter oder Brandt an der Regierung haben, dann sinkt die Hoffnung, dass sich das demnächst ändern könnte. Es ist nämlich kein Zufall: Es liegt in der Struktur.
Dierk
Ich wünsche mir keinen ‘guten Herrscher’ im Sinne eines Philosophenkönigs, einen Diktator, der es wirklich gut und besser meint. Ich sehe das ganz praktisch: Wenn die regierenden Personen kein Interesse an der Einschränkung von Macht haben, werden Militär und Sicherheitsbehörden weiter blühen.
Selbstverständlich muss die Kontrolle verbessert werden. Selbstverständlich bedarf es einer erheblich größeren Transparenz – das ist nicht einmal etwas Neues, das wurde von den Gründervätern der USA immer wieder betont. Selbstverständlich müssen Politiker und Bürger erkennen, dass die letzten 30 Jahre etwas ganz gehörig schief gelaufen ist.