Streisand-Abmahnungen

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Na Mädels? Ein Bier für mich bitte! Wie sieht’s aus? Ich hab’ da so’n Problem mit Abmahnungen. Ich meine Abmahnungen, weil man was im Internet gesagt hat. Freie Meinung und so, und wo die Grenze ist, und was man da gegen andere Rechtsgüter aufwiegen muss. Da gibt’s ja grad wieder verschiedene Fälle, wo von Bloggern verlangt wurde, irgendwas nicht zu sagen, zu löschen, nicht zu wiederholen und so weiter. Manchmal machen die Blogger das dann wie verlangt, und zwar obwohl sie sich völlig dazu berechtigt finden, das zu sagen, was sie so sagen. Und manchmal wollen sie sich das nicht bieten lassen und sich dagegen wehren, dass irgendwer, der bereit ist, einen Anwalt zu belästigen, ihnen vorschreibt, was sie – nicht – sagen dürfen. Insbesondere wenn sie glauben, das doch sagen zu dürfen, weil es nunmal wahr ist, oder sonst nichts dagegen spricht.

Das eine und das andere wird im Zweifelsfall teuer, ist also ein Risiko. Wenn man nun nicht für Geld bloggt, kann man so ein Risiko auch nicht einkalkulieren und Rücklagen für den Fall der Fälle bilden. Da ist es dann sicherer, doch lieber nicht zu bloggen.

Andererseits besteht auch ein Risiko für denjenigen, der mit einer Abmahnung irgendwas zum Verschwinden bringen will, was im Internet steht. Und das heißt Streisand-Effekt. Der ist nämlich dazu geeignet, die gegenteilige Wirkung zu haben und die abgemahnte Äußerung erst recht weit zu verbreiten. Das gilt insbesondere, wenn die Löschforderung weithin als unberechtigt empfunden wird. Dehalb stellen sich zwei Fragen:

  1. Was sollte man tun, wenn man etwas aus dem Internet verschwinden sehen will, juristisches Vorgehen aber für eine Streisand-Verbreitung zu sorgen droht?
  2. Und wie verhält man sich als verantwortungsvolle Netzbewohner*in in einer solchen Situation richtig?

Denn wenn wenn man öffentlich die ungerechtfertigte Androhung juristischer Schritte kritisiert, reproduziert man ja zugleich die Äußerungen, um die es geht. Und das könnte dann wieder zu negativen Auswirkungen auf Betroffene führen, die man gar nicht beabsichtigt und auch nicht verantworten möchte. Das gilt besonders, wenn es um die Sexualmoral geht: Was Otto Normalbürger als nicht weiter dramatisch erscheinen mag, kann ja in bestimmten Milieus durchaus heftige Auswirkungen haben. Sollte man da vielleicht lieber nichts sagen, um zu verhindern, dass irgendwelche gesellschaftlichen Splittergruppen Leute durch Themensetzungen diskriminieren, die außerhalb dieser Kreise unproblematisch sind?

MichaelMichael
Die Antwort auf deine erste Frage fällt mir in meiner Eigenschaft als Oberschurke relativ leicht: Ich gehe natürlich nicht direkt gegen den Blogger selbst vor, der hat ja im Zweifelsfall absichtlich über meine fiesen Machenschaften geschrieben und freut sich dann diebisch, wenn ich die per Abmahnung noch weiter verbreite. Und gegen diese fiesen, anonymen Blogger kann ich ja eh nichts machen. Ich werde daher so lange die verschiedenen Gerichte Deutschlands beschäftigen, bis diese dann Google verdonnern, die fragliche Seite aus dem Index zu schmeißen. Was keiner mehr finden kann, ist völlig irrelevant. Und gegen diese ebenfalls lästige Wikipedia gehe ich vor, indem ich einfach ihre Quellen weglöschen lasse. Muhahahaha!

Die zweite Frage ist in meiner zweiten Eigenschaft als netter, verantwortungsvoller Blogger schwerer zu beantworten. Ich glaube, dass in so einem Fall einfach viel Fingerspitzengefühl nötig ist und Diskretion. Völlig abwegige Abmahnungen lassen sich auch abwehren ohne sie gleich öffentlich zu machen. In manchen Fällen kann das die beste Lösung sein, v. a. wenn der Sachverhalt zunächst sehr unklar ist. Ungerechtfertigte Abmahnungen haben den Streisand-Effekt natürlich verdient, ich frage mich aber, ob man sich wirklich groß darüber aufregen muss, wenn etwa eine bekannte Ex-Politikergattin dagegen vorgeht, dass sie auf diversen Webseiten als Ex-Prostituierte bezeichnet wird. Selbst wenn dies stimmen würde, muss jeder Blogger sich fragen, warum er überhaupt darüber schreibt. Ich versuche in solchen Fällen immer etwas Zurückhaltung zu üben und schreibe häufig auch nicht den Namen der Betroffenen voll aus.

ErbloggtesErbloggtes
Hm. Zwei Seelen in deiner Brust, und beide finden die Mitteilung von Rechtsstreitigkeiten zur Informationskontrolle nicht so empfehlenswert. Als digitaler Oberschurke wählst Du einen indirekten Ansatz, um die Informationsverbreiter zum Schweigen zu bringen. (Ganz im Sinne des französischen Geheimdienstes, der die Wikipedia zensieren will.) Und als seriöser Blogger findest Du eigentlich nur ungerechtfertigte Abmahnungen berichtenswert. Dabei ist es doch da gerade so, dass der Sachverhalt ziemlich klar ist: Jemand möchte durchsetzen, dass eine bestimmte Aussage entfernt und nicht wiederholt wird. Unabhängig vom Wahrheitsgehalt der betreffenden Aussage wissen wir da doch schon ziemlich viel ziemlich genau: 1. Es gibt diese Aussage. 2. Der Abmahnende möchte nicht, dass sie verbreitet wird. 3. Der Abmahnende glaubt, eine Abmahnung sei ein erfolgversprechendes Mittel zur Umsetzung von Punkt 2.

Ich finde ja, dass es durch diese gesicherten Informationen erst möglich wird, öffentlich Themen aufzugreifen, über die sonst nie Gesichertes zu erfahren ist. Aber vielleicht ist das nur einem übermäßigen Glauben an die Wahrheit und Gerechtigkeit von Öffentlichkeit geschuldet – nicht unbedingt in Form von Post-Privacy, sondern in Form der Transparenz von Politik und Recht nach Kants Formel:

“Alle auf das Recht anderer Menschen bezogene Handlungen, deren Maxime sich nicht mit der Publicität verträgt, sind Unrecht.” (Zum ewigen Frieden, AA VIII, 381)

Das ist natürlich ein recht grundsätzlich formuliertes Öffentlichkeitsprinzip. Es erweist aber immer wieder seinen Wert.

Hast du übrigens schon gesehen, dass heute ein neues Heft der Zeitschrift Aus Politik und Zeitgeschichte zum Thema Transparenz und Privatsphäre erschienen ist? (Heft 15-16/2013 als PDF)

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