Andrea
Über mehrere Jahre hatte ich mich – unter anderem im Rahmen von ZIRP – mit Demografie und ihren Auswirkungen auf Rheinland-Pfalz und seine Unternehmen beschäftigt. Daraus ist etwa der Aufsatz “Mixit macht Spaß – Arbeiten von 16 bis 67″ hervorgegangen, in dem ich die Vorteile gemischter Teams betont habe – ob nun generationell, geschlechtlich oder ethnisch.
Auch 2014 haben die Parteien mit dem Thema “ältere Arbeitnehmer” Wahlkampf gemacht. Allerdings erneut quer durch alle politischen Richtungen auf Basis der Vorstellung: “Chancen für Ältere auf dem Arbeitsmarkt verbessern”. Schaut man sich aber Umfragen an, zum Beispiel diese, kann man nicht erkennen, dass die Mehrzahl der Deutschen wirklich über 55 hinaus noch Vollzeit arbeiten will.
Auf der anderen Seite erlebe ich, wie Politik umfangreich ignoriert, dass zunehmend mehr junge Menschen für sich wenig Perspektiven sehen und sich aus dem Bildungssytem zurückziehen – und damit auch vom Arbeitsmarkt. Aber warum verhalten sich junge Menschen in Deutschland so? Die Ursachenforschung bleibt häufig beim “bildungsfernen Elternhaus” stehen – aber ist das alles?
Erbloggtes
In der deutschen Arbeitsorganisation haben doch traditionell Wertorientierungen vorgeherrscht wie diese:
- Erfüllung hoher, definierter Standards
- Einhaltung klarer Hierarchien
- Sicherheit festgelegter Laufbahnen
Im Gegensatz dazu hast du in deinem Mixit-Aufsatz folgende Wertorientierungen als zukunftsfähig postuliert:
- Permanenz lernender, leistungsoptimierender Innovation
- Teamwork in verflüssigt-flachen Hierarchien
- Flexibilität chancen- und risikenreicher Leistungskonkurrenzen
Wenn ich das so gegenüberstelle, schweben mir eine preußische Amtsstube und ein kalifornischer Techplex als typische Orte solcher Arbeitsorganisation vor. Die These, dass die erste, herkömmlich-deutsche Orientierung überholt ist, dass sie aufgrund von Technisierung und Globalisierung auf den Müllhaufen der Geschichte gehört, basiert auf einem Fortschrittsglauben: Demnach wurde diese Art Arbeitsorganisation einmal erfunden und breitet sich seither aufgrund ihrer natürlichen Überlegenheit (hinsichtlich der ökonomischen Leistungsfähigkeit) unaufhaltsam über die Welt aus.
Wenn ich daran leise Zweifel anmelde, dann deshalb, weil die Kompatibilität dieser Kultur der Arbeitsorganisation mit den an irgendeinem Ort gegebenen Rahmenbedingungen nicht garantiert werden kann. Die Wertorientierungen, die unsere Arbeit bestimmen, sind abhängig von allen unseren Lebensumständen. Deshalb lassen sich Kulturen und Innovationen nie 1 zu 1 aus einem Kontext in einen anderen transplantieren, sondern verändern sich dabei stets. Bei einer solchen Veränderung kann auch völliger Murks (hinsichtlich der ökonomischen Leistungsfähigkeit) herauskommen, oder Horror-Lebensverhältnisse.
Und an diesem Punkt des Lebensverhältnis-Horrors würde ich ansetzen, um – ganz im Gegensatz zu deinem ermutigenden, optimistischen Aufsatz – die negativen Erfahrungen und Befürchtungen zu suchen, die offenbar zahlreiche Träger preußischer Amtsstubenmentalität teilen: Sowohl frühestmöglich in die Rente (oder zumindest Teilzeit) zu verschwinden, als auch Rückzug aus Bildungs- und Arbeitssystem sind Möglichkeiten, auf die Verunsicherung gewandelter Anforderungen zu reagieren. Wenn wir diese Leute nicht für dumm halten, dann treffen sie solche Entscheidungen, weil das besser für sie ist. Dass das “der Wirtschaft” und “der Politik” nicht gefällt, ist klar. Die singen lieber, ganz unironisch, Geier Sturzflug (lesenswerter Artikel aus einer Zeit, als Zeitungen noch in Amtsstubenmanier erstellt wurden).
Andrea
Vielleicht habe ich deinen Post, Erbloggtes, nicht verstanden: Woher kommt zum Beispiel der USA-Bezug? Zusammenarbeit von Generationen oder altersgemischter Teams gab es doch auch im Mittelalter, und sie brachte faszinierende Innovationen hervor. Die Ursache im Rückzug in die Rente sei darin zu finden, sagst du, dass den Mitarbeitern ab 55 keine Perspektiven und Sicherheit geboten würden? Aber die Unternehmen locken doch genau damit. Die Ursache, dass Jüngere ihre Bildungs- und Arbeitschancen nicht nutzen, habe ihre Ursache darin, dass es keine linearen Karrierewege mehr gäbe? Aber gab es die wirklich zu allen Zeiten?
Erbloggtes
Du findest, dass Jung und Alt zusammenarbeiten sei eine gute Sache? Da stimme ich dir zu. Ich denke auch, die Probleme, die du aufgezeigt hast, kommen bei jungen wie bei älteren Arbeitskräften nicht aus ihrer Kooperation selbst. Aber die Wertorientierungen, die du als zukunftsfähig beschrieben hast, erzeugen meiner Ansicht nach keine Arbeitswelt, in der alle friedlich und fröhlich zusammenarbeiten. Vielmehr sehe ich, dass die positiven Aspekte (wie Teamwork, Lernen und Chancen) von den negativen überwogen werden: Leistungsdruck, Orientierungslosigkeit und Risiko. Die darin sich abbildende Konkurrenz finde ich viel grundlegender als die Kooperation, die du hervorhebst.
Perspektiven und Sicherheit für Arbeitskräfte ab 55 kann ich nicht sehen; wenn Unternehmen damit locken, halte ich das erstmal für Werbung: Sich in einem täglichen Innovationswettkampf mit “Digital Natives” behaupten zu müssen, weil nicht die Chancen, sondern die Risiken diese Konstellation bestimmen, kann für jemanden, der noch mit den eigenen Händen zu arbeiten gelernt hat, beängstigend sein.
Auch bei den Bildungs- und Arbeitschancen der Jüngeren siehst du ihre Bildungs- und Arbeitsrisiken zu wenig: Warum in die eigene Bildung investieren und sich für einen spezialisierten Beruf engagieren, wenn das Beständige bloß der Wandel ist, man damit rechnet, sich nach zwei Jahren was Neues suchen zu müssen, und man die zwei Jahre auch mit einem lockeren Job in der Pommesbude überbrücken könnte?
Den USA-Bezug habe ich daher genommen, dass die betreffenden Wertorientierungen mir amerikanisch erscheinen. Wenn ich in Europa Firmen sehe, die mir so vorkommen, wie du die Wertorientierungen zukünftigen Arbeitens beschreibst, dann haben die viel mit Computern zu tun und übernehmen viele amerikanische Praktiken, Begriffe (und Wertorientierungen).