Erbloggtes
Autsch! Was ist das? Wer wirft hier unbehandelte Rundhölzer in die Kneipe? Müssen aus einer dunklen Vergangenheit stammen. Zuletzt ward hier nur die Nachfolgegeneration, genannt “Twitterstöckchen”, gesehen, und zwar von @Fischblog und @Terrorzicke. Weithin ziemlich vergessen scheint mir die Blogstöckchen-Praxis gewesen zu sein, bis sie 2013 als eine Tradition wiederbelebt wurde, der sich nichtmal tagesschau.de entziehen konnte. Aber vielleicht ist die demonstrative Unwilligkeit, mit der die meisten auf Blogstöckchen reagieren, ja auch bloß Koketterie.
Nun denn, hier warf hinterwald ein Stöckchen nach mir, dessen Beschriftung ursprünglich von ben_ stammte. Da ich hier an der Bar neulich schonmal saß und Fragen zur Unperson beantwortete, nun denn:
1. Welcher Deiner Blogbeiträge hat Dir etwas Mut abverlangt, ihn zu veröffentlichen?
Anonymes Bloggen macht es leichter, draufloszudenken. Nur ein Thema erfordert dabei besonderen Mut: Ich. Welche personenbezogenen Informationen stecken in einer Äußerung? Kann ich das Geschriebene gefahrlos veröffentlichen, ohne dass es mir später auf die Füße fällt? Es soll ja Leute geben, die bemerken sehr genau, wenn sie ein Profil vervollständigen können. Weiß ich auch nach Jahren noch, welche Teile geheim bleiben müssen, um das Puzzle unlösbar zu halten? Kurz: Vermutlich wird dieser Beitrag mir Mut abverlangen.
2. Alles in allem: Was hälst Du von der Einrichtung der Welt, des Universums als Ganzem und der Menschheit und ihrer gesamten Geschichte darinnen?
Ist alles ziemlich gut aufeinander abgestimmt, nicht wahr? Nur die Menschheit, die stört. – Nein, ernsthaft: An Misanthropie und Kulturpessimismus erkennt man Leute, vor denen man sich in Acht nehmen sollte. Und die Geschichte der Menschheit, die hat doch noch nichtmal begonnen. Wir sollten uns nur vorsehen, dass wir nicht Misanthropen und Kulturpessimisten verhindern lassen, dass sie jemals anfängt.
3. Was ist Dein Lieblingstier, und warum?
Mein Lieblingstier kann ganz verschmitzt lächeln, ist ganz kuschelig und hat schöne, große Augen, die eines treuherzig anblicken, so dass man manchmal den Eindruck hat, es wäre so intelligent, dass es jedes Wort verstünde, was man sagt. Das stimmt zwar nicht, aber das macht nichts. Ich mag’s trotzdem: Es ist der Mensch.
4. Was ist das Beste, was Blogs sein können?
Kneipe, Kaffeehaus oder Salon für eine Epoche, in der die Menschen nicht mehr unter sich bleiben und nur im eigenen Milieu verkehren können. Virtuelle Orte, die so zweckbefreit sind, dass sie beim freien Spiel der Gedanken helfen.
5. Was würde Bloggen für Dich viel einfacher machen?
Wenn dieses unwägbare Ding namens Zukunft nicht wäre, könnte ich einfach drauflos schreiben. Aus der Ablehnung von Misanthropie und Kulturpessimismus folgt ja gerade nicht, dass alles gut wird.
6. Welchen Schriftsteller oder welche Schriftstellerin verehrst Du für seine/ihre Sprache?
Adorno. Ihm gelang oft die richtige Mischung aus konkret und abstrakt, unverständlich, irritierend, artifiziell und eingängig. Mitdenken ist schwierig, aber Nachdenken geht immer.
7. Wenn Du eine Roman- oder Film-Figur sein müsstest, welche wärst Du gerne?
Wegen der Antwort auf die fünfte Frage wäre es doch prima, wenn ich eine Figur mit den besten Voraussetzungen wäre, die vom Schicksal wie an Fäden durch die Handlung gezogen wird, stets das Richtige tut, weil es das gerade Notwendige ist, und bei der das Vernachlässigte sich nicht am Ende bitter rächt. Ein im Voraus gebuchtes Happy End wäre natürlich ebenso toll wie ein nicht allzu leidvoller Mittelteil mit viel Müßiggang und Minnesang. Also Arwen.
8. Was nervt Dich am meisten an Deiner Blogsoftware?
Dass sie für mich undurchschaubar ist. Man könnte natürlich sagen, dass das hauptsächlich an mir liegt. Aber was eines nervt, das liegt ja immer an einem selbst.
9. Magst Du von von einem romantischen, idealistischen, ergreifenden oder einfach nur besonders schönen Moment berichten, den Du im Netz erlebt hast?
Ich freue mich immer, wenn ich Leute, die ich aus dem sogenannten echten Leben kenne und schätze, in digitaler Anonymität wiedertreffe, und sie das trotzdem gut finden, was ich da so treibe – ohne dass bei dieser Bewertung soziale Verpflichtungen oder Erinnerungen aus dem echten Leben eine Rolle spielen könnten.
10. Was ist – Deiner bescheidenen Meinung nach – der größte Fortschritt, die größte Verbesserung innerhalb der Menschheitsgeschichte?
Die Schrift. Sie ist ein externes Gehirn, das nicht nur Speichern und Abrufen viel unverfälschter beherrscht als unser internes Gedächtnis, sie ermöglicht auch viel präziseres Denken, ziemlich detaillierte Kommunikation und die Loslösung der Aussagen von den Aussagenden, also Objektivierung.
Und jetzt gebe ich noch eine Runde aus: Stöckchen mit denselben 10 Fragen bekommen christorolia, almasala und das ellebil, alle anderen kriegen ein Kaltgetränk. Zum Wohl!
Hi Erbloggtes,
vielen Dank für den Stock. Ich weiß es zu schätzen. Besteht dennoch die Möglichkeit, den Stock gegen ein Kaltgetränk einzutauschen?
Beste Grüße
al masala
Ja, also ich weiß nicht. Ein Kaltgetränk kannst du bekommen. Aber wie die Regeln für solche Stöckchen genau sind, da bin ich schlecht informiert. ;)
[Update: Du konntest dich offenbar doch noch durchringen. Und die Regeln lauten anscheinend: Mach deine eigenen Regeln!
Die Blogstock-Demütigung, 20. November 2013.]
danke für den wink mit dem zaunpfahl, ich hatte schon alle hoffnung fahren lassen ;-)
und danke für die antworten, die sich so erfreulich der misantrophie entziehen.
es ist ja immer leichter, etwas an der menschheit oder den menschen zu finden, woran man gefahrlos herumnölen kann … aber es spricht halt von mut und einer größeren weisheit, sie trotz all dem weiter lieb zu haben und vor allem: nicht die hoffnung in diese verdammt unbekannte zukunft zu setzen, die dem einen wie das schwert des damokles erscheint und in der der andere “mehr licht” möglichst auf mehr menschen verteilt erkennen will.
über die “anonymität” habe ich mich ja vor jahresfrist hier schon mal ausgelassen, die datensammelwut von privatpersonen ist natürlich schon witzig … vor allem, wenn sie _andere_ betrifft. wenn ich daten sammele, dann doch eher mein eigenen postings oder dialogstränge, um nach jahresfrist meine “habe ich es nicht schon immer gesagt” keule rauszuholen und mich in meiner unübertroffenen fähigkeit, recht zu haben, bestätigt zu sehen (wie geht noch mal das selbstironie smiley?)
zum bloggen und zu uns selbst, ob nun als gesamt oder individuum, kann ich für meinen teil nur sagen, daß ich nicht weiss, wofür das alles mal gut sein wird und wer uns mal schätzt, wenn wir nur noch asche sind und plädiere deshalb mal für weniger bescheidenheit. also dafür zu sorgen, daß wir die datenbank unserer famous words mit eigenem statt den profilen anderer füllen müssen ;-)