dahlem
Der Valentinstag geht angeblich auf christliche Märtyrer zurück, die geköpft wurden. Da passt es sehr gut, dass ich gerade in Washington bin und heute einen Vortrag halte. — Einen Bloody Mary bitte. — Auch die liebe Wissenschaft erleidet das Martyrium durch Enthaupten in Deutschland. Deswegen bin ich in Washington.
Hannelore Kraft — schlechte Bildungspolitik übergreift die großen Parteien — erklärte uns “promovierte[n] hoch qualifizierte[n] Mitarbeiter” um welche Köpfe es geht, um die die Wissenschaft in Deutschland kürzer gemacht werden soll:
“Für sie [also die promovierten hoch qualifizierten Wissenschaftler_innen] muss in absehbarer Zeit klar werden, ob sie ihre wissenschaftliche Karriere im Rahmen einer Professur fortsetzen können, ob sie von der Hochschule im bisherigen Status unbefristet weiter beschäftigt werden, oder ob sie aus dem Hochschuldienst ausscheiden müssen, um den Platz für neuen wissenschaftlichen Nachwuchs freimachen und sich selbst rechtzeitig eine alternative berufliche Perspektive aufzubauen.”
Drei Möglichkeiten: Professur, Festanstellung im Mittelbau, berufliche Alternative (Politiker etwa? Dort sind Promovierte heute ja nicht mehr so sehr gesucht). Von den ersten beiden gibt es nachweislich zu wenig. Wenn man allerdings Weg drei wählt, macht man den Weg gleich für zwei neue Wissenschaftler frei! Ein hoch qualifizierter Wissenschaftler oder Wissenschaftlerin besetzt die Stelle für zwei neue Promovierende. Auf diesem Hydra-Prinzip beruht der Erfolg der deutschen Forschung.
Was übersehen wird: es gibt nicht nur diese drei, sondern vier Möglichkeiten. Dass diese vierte in der Regel genutzt wird, verschwieg Hannelore Kraft wohl aus Kalkül: Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen machen ihren Platz frei, indem sie ins Ausland gehen und dort — nachdem sie in Deutschland eine hervorragende Ausbildung genossen haben — sich und ihr Wissen einbringen.
Dierk
Ich finde dabei ja seltsam, dass die USA als anti-intellektueller gelten als Europa, gerade auch Deutschland, Land der Dichter und Denker, und trotzdem wissenschaftlich und forschend besser aufgestellt scheint. Übrigens nicht nur in den hard sciences, auch die humanities werden ordentlich bestückt – an staatlichen ebenso wie an privaten Universitäten.
Nichtsdestotrotz ist es eben dieser allgemeine Anti-Intellektualismus, der am Ende dazu führt, dass sich ‘Bildung’ zwar gut in Sonntags- und Wahlreden macht, aber wenn es drauf ankommt – nämlich beim Geld – schlecht an die Wähler/Steuerzahler verkaufen lässt. In den letzten 30 Jahren kam dazu immer der Ruf nach ‘Praxisorientierung’ [gemeint war dann doch: wirtschaftliche Nutzung] und ‘Zukunftsnutzen’ [gemeint war dann doch: wirtschaftlicher Nutzen]. Aber auch dafür wollte keiner zahlen, am wenigsten die Unternehmen, die laut ihrer Funktionäre doch so dringend gut nach ihren Vorstellungen ausgebildete …
dahlem
Passend ist dazu die Rede zur Lage an die Nation von Barack Obama vorgestern. Er lobte explizit die gymnasiale Schulausbildung in Deutschland! Und ich denke auch die universitäre Ausbildung ist sehr gut hier. Aber die USA wollen darüber hinaus in Wissenschaft und Forschung gut aufgestellt sein, nicht nur in der Bildung. Wir verlieren zu Hauf teuer ausgebildete Wissenschaftler und Ärzte ans Ausland. Tja, wie es Thomas Gutschker neulich sagte: “Gute Bildungspolitik bemisst sich nicht danach, wie viel Geld ein Minister vom Gesamthaushalt abzwacken kann.“
christorolia
Ich persönlich bin für dieses Leben durch mit dem Thema. Ich bin vor 20 Jahren nach dem Diplom trotz einiger Möglichkeiten aus der Wissenschaft “ausgestiegen” und in die “freie Wirtschaft” gegangen. Nicht etwa, weil mir Forschung keinen Spaß gemacht hätte, sondern einfach, weil in der sich nach oben hin stark verjüngenden Wissenschafts-Karriere-Pyramide andere Qualitäten gefragt sind als Wissensdurst, Forscherdrang und Teamfähigkeit. Schade eigentlich, aber vielleicht wäre ich eh nicht geeignet gewesen, aber das müssten andere beurteilen.
Erbloggtes
Dass den Amerikanern ein Anti-Intellektualismus zugeschrieben wird, hat in Deutschland lange Tradition. Das müsste man mal bis zur Gründung der USA zurückverfolgen. Mag ja auch sein, dass einige religiöse Gemeinschaften dort Intellektuellem, sofern nicht geistlich begründet, ablehnend gegenüberstehen. Aber vor allem ist es doch eine Art Hassliebe der Deutschen zu den Amerikanern: Im 20. Jahrhundert wollten “wir” zunehmend so sein wie “die”, nämlich wirtschaftlich erfolgreich, mächtig, beliebt, fröhlich, frei. Sowas sagt man aber nicht. Stattdessen macht man sich über das heimlich Geliebte lustig. Es sei oberflächlich, dumm, materialistisch, gewalttätig und so weiter. So lauten die Sonntagsreden, genau wie Du sagst, Dierk. Ideologisch wird stets das Eigene, “Deutsche” betont, man denke nur an den erbitterten Kampf gegen Anglizismen. Praktisch versucht man aber gleichzeitig alles, um sich dem geschmähten Ideal anzunähern. Indem man die eigene Gesellschaft oberflächlich, dumm, materialistisch, gewalttätig und so weiter umgestaltet, will man wirtschaftlich erfolgreich, mächtig, beliebt, fröhlich, frei werden. Das muss Liebe sein. Sehr zum Wohl, Ihr Liebenden!
@Erbloggtes: Schau mal in Dan Diners “Feindbild Amerika”, der macht genau das, was du dir in deinem Beitrag wünschst.
Aus der E-Mail einer Uni:
“an einer Exzellenz-Universität zu arbeiten, bietet die Chance auf wissenschaftliche Reputation und finanzielle Förderung auf hohem Niveau. Gleichzeitig sind die wissenschaftlich Beschäftigten vielfältigen strukturellen Belastungen ausgesetzt. Starker Erfolgs- und Konkurrenzdruck prägen die berufliche Praxis ebenso wie die kürzere Befristung von Verträgen, entgrenzte Arbeitszeiten und wenig planbare Karrierewege.”
Es ist sicher unbeabsichtigt und gut gemeint, aber diese Zusammenstellung entlarvt die Bedeutung von “Exzellenz-Universität”.